Meine christliche Erziehung
Ich wurde in römisch-katholischem Glauben erzogen.
Damals, in den sechziger Jahren, machte es noch einen großen Unterschied, welcher Konfession man angehörte. Meine Großeltern mütterlicherseits waren evangelisch, meine Großmutter väterlicherseits katholisch. Während ich erstere nie in einem Gottesdienst gesehen habe, nahm meine katholische Großmutter ihren Glauben sehr ernst. Sie bestand auch darauf, dass ihre Enkel ebenfalls im katholischen Glauben erzogen wurden und dass die kirchliche Trauung nach katholischem Ritus vollzogen wurde. Das wiederum veranlasste meine anderen Großeltern dazu, der Hochzeit ihrer eigenen Tochter fernzubleiben (!), und dies, obwohl sie, wie gesagt, ihren Glauben zumindest mir gegenüber nie praktizierten.
Religion ist selbst dann ein Teil unserer Identität, wenn wir sie nicht sonderlich ernst nehmen oder gar keine zu haben meinen. Meine Großeltern mütterlicherseits ähnelten heutigen verweltlichten Europäern, die zwar nie einen christlichen Gottesdienst besuchen, womöglich gar nicht mehr in der Kirche sind, aber dennoch den Islam als kulturelle, ja transzendentale Bedrohung ihrer Identität betrachten. Der Verlust unserer sozialen, kulturellen und spirituellen Identität ist für unsere Seele genauso bedrohlich wie der Verlust der familiären. Ob wir es wollen oder nicht.
Wie dem auch sei, gehört meine Heimat Nordbaden zu den Gegenden Deutschlands, die weder wie der tiefe Süden eindeutig katholisch noch wie der hohe Norden klar protestantisch geprägt sind. In den meisten Orten ist es Hälfte, Hälfte, es gibt stets eine katholische und eine evangelische Kirche. Konfessionelles Kampfterrain, könnte man sagen. Folgerichtigerweise gab es im Ort auch einen katholisch und einen evangelisch geleiteten Kindergarten, dafür keinen staatlichen. Weil meine Schwester und ich einer gemischt-konfessionellen Ehe entstammten und Kindergartenplätze knapp waren – ich gehöre zu den Boomers, den geburtenstarken Jahrgängen – fühlte sich keiner der beiden Kindergärten für uns zuständig und wir mussten nolens volens zu Hause bleiben. So war es damals.
Wie alle besuchte ich in der Grundschule in den Religionsunterricht, der von einem Pfarrer geleitet wurde und ebenfalls nach Konfessionen getrennt war. Ich malte den Herrn Jesus Christus, wie er auf einem Esel in Jerusalem einritt, lauschte Bibelgeschichten und sang christliche Lieder. Ich besuchte nach der Schule den Konfirmationsunterricht und legte vor dem Gemeindepfarrer meine erste und einzige Beichte ab, was die Voraussetzung zur Zulassung zur Konfirmation war. Ich erinnere mich noch, wie mir davor graute und ich mir krampfhaft Gedanken machte, was ich denn – als Zehnjähriger – zu beichten hätte. Schließlich fiel mir nur ein, ich sei manchmal nicht fleißig genug und ungehorsam gegenüber meinen Eltern. Der Pfarrer war‘s damit zufrieden, auf sehr ernsthafte Weise und ohne jedes ironische Zwinkern.
Später besuchte ich in Begleitung meiner Großmutter und, zunächst zumindest, meiner Schwester sonntags den Gottesdienst. Meine Eltern ließen sich dort allenfalls zu Weihnachten und Ostern sehen. (Meine Großmutter führte somit einen schon damals aussichtslosen Kampf.) Ich saß brav und still in einer der ersten Reihen und bekam als Belohnung dafür manchmal Heiligenbildchen, die ich in mein Gesangbuch einlegte. Irgendwann, vielleicht ein halbes Jahr nach der Konfirmation, ging ich aber nicht mehr in die Kirche. Wie ich dies gegenüber meiner Oma durchsetzte, weiß ich nicht mehr. Aber ich weiß noch, wie eines Tages der Pfarrer bei uns klingelte und mich freundlich ermahnte, er hätte mich schon länger nicht mehr in der Kirche gesehen. Auch das war damals so.
Ich habe auf die Ermahnung des Pfarrers hin nur verlegen geschwiegen.
Was habe ich während dieser, man könnte sagen, christlichen Phase meiner religiösen Werdung über all dies gedacht? Bewusst wenig bis nichts. Ich habe den mir verordneten Glauben hingenommen wie alles andere, was meine Eltern und meine sonstige Umgebung mir an Anschauungen und Verhaltensweisen abverlangten. Man ging in den Konfirmationsunterricht und legte die Beichte ab, so wie man einen Diener oder einen Knicks machte und nach Beendigung der Mahlzeit sein Besteck ordentlich auf dem Teller ablegte.
Am ehesten erinnere ich mich an ein Gefühl der Fremdheit und des unangenehm Berührtseins. Ich, beziehungsweise meine Seele hat, so analysiere ich es heute, nie an jenen Gott der Christen geglaubt. Ich habe nie etwas empfunden beim Hören all der Bibelgeschichte außer einem Gefühl der Unwirklichkeit, des nicht zu mir Gehörenden, als habe all dies nicht das Geringste mit mir zu tun. Ich habe christliche Priester stets als schwitzig, verdruckst, unaufrichtig, lauernd erlebt, wie jemand, der nur darauf wartet, dass ich etwas Falsches sage oder tue, das er kritisieren kann. Ich habe niemals etwas von der angeblichen Liebe Gottes oder Jesus‘ mir gegenüber gespürt. Die Gottesdienste waren für mich eine Qual, während derer ich stillsitzen und mir Unverständliches anhören und süßliche Lieder mitsingen musste.
Vor allem habe ich, ohne es damals schon reflektieren zu können, ein Gefühl der fundamentalen kulturellen Fremdheit empfunden. Das Christentum war etwas Fremdes, mir und den Meinigen Oktroyiertes, so als würde der eigene Verstand von Außerirdischen gesteuert. Heute ist mir klar warum: Das Christentum ist eine afrikanische, orientalische Religion, die sich nur ein europäisches Gewand übergeworfen hat. Es ist uns und unserer europäischen Seele wesensfremd.
Weiterhin hat meine Seele gespürt, dass es beim Christentum nicht in erster Linie, ja vielleicht überhaupt nicht um Liebe und Vergebung geht. Sondern um Macht und Unterwerfung. Es ist, auch in seiner heutigen locker und tolerant und aufgeklärt daherkommenden Endphase, in seinem Wesenskern ein autoritäres System, das Kinder, die sich noch gar nichts haben zuschulden kommen lassen, zwingt, sich während der Beichte einem Priester zu unterwerfen, das Gläubige zwingt, wie Leibeigene die Hände zu falten, zu knien und – geht es noch widerwärtiger? – den angeblichen Leib und das angebliche Blut ihres hingerichteten Propheten zu verspeisen. Bluthochzeit mit dem Vampir nennt man es in Horrorromanen. Manche richten sich Menschen zu Sklaven ab, indem sie sie zwingen, ihren Urin zu trinken und ihre Exkremente zu essen. Die christliche Eucharistie ist nur eine gereinigte, symbolhafte und geschickt verschleierte Form dessen.
Der Kern des Christentums ist nicht Liebe, sondern Despotie. Denn es ist eine orientalische Religion. Seine Liebe ist nur die Gnade, die der Herr seinem gehorsamen Untertanen zu erweisen sich bereitfindet.
Warum empfand gerade ich dies – wenngleich unbewusst – schon als Kind? Weil ich nicht dazu geboren wurde, mich zu unterwerfen und fremde Anschauungen ohne innere Überzeugung zu akzeptieren? Oder weil Euródin mir die Wahrheit schon bei meiner Geburt als Keim in die Seele legte? Es ist wohl das Problem von Henne und Ei. Niemand kann zum Propheten werden, der nur den Katechismus seiner Umgebung nachbetet. Die Voraussetzung des Glaubens an das Neue ist der Unglauben an das Alte. Aber Unglauben ist etwas anderes als Nichtglauben. Er ist im Gegenteil die Sehnsucht nach dem wahren Glauben.
Eine Jugendfreundin, streng protestantisch erzogen, bekannte mir gegenüber einmal in Gegenwart ihrer Mutter, manchmal hätte sie gar keine Lust, in den Gottesdienst (schon der Name „Dienst“ ist verräterisch) zu gehen. Ihre Mutter daraufhin entsetzt: „Aber […], da gehst du doch hin, um eine gute Predigt zu hören!“ Wohl bekomm’s. Zur Prophetin ist sie nicht geworden.
Meine Abkehr vom Christentum
Während meine Seele schon von Anfang an wusste, dass das Christentum eine Lüge ist, wurde dies meinem Verstand zum ersten Mal klar, als wir im Geschichtsunterricht den Gang nach Canossa oder ein anderes religionspolitisches Thema durchnahmen. Ich las zu der Zeit sehr viel, auch einen Roman über das Wüten der spanischen Inquisition, all die Folterungen und Hinrichtungen. Also brach ich im Unterricht hervor, das Christentum sei in Wahrheit grausam und intolerant und keine Religion der Liebe. Der Lehrer und meine Klassenkameraden reagierten teils belustigt, teils schockiert. Für sie war ich seitdem ein Häretiker.
Anmerkung hierzu: Religionen müssen nicht immerzu tolerant, sanftmütig und friedlich sein. Es sind Gruppennormen und diese müssen zu Zeiten notfalls auch mit brutaler Gewalt durchgesetzt werden – im Interesse des Überlebens und Gedeihens der Gruppe. Nur bezeichnen sich andere Religionen auch nicht als sanftmütig, tolerant und friedliebend. Sondern sie sind ehrlich. Die Unaufrichtigkeit, das Verschleiern, die Verschlagenheit wiederum sind Wesenszüge, die ich als uneuropäisch bezeichne, die mir hingegen aus Gefilden südlich des Mittelmeeres umso vertrauter sind.
Ich trat mit 14 Jahren, sobald ich es ohne die Genehmigung meiner Eltern konnte, aus dem Religionsunterricht und mit der Volljährigkeit aus der Kirche aus.
Trotzdem spukte das Christentum noch viele Jahre in mir herum. Noch lange Zeit, nachdem ich zum letzten Mal einen Gottesdienst besucht hatte, bekreuzigte ich mich automatisch, wenn ich zu touristischen Zwecken eine Kirche betrat. Als junger Erwachsener besorgte ich mir meine erste eigene Bibel, zum Erstaunen meiner Freunde, die – Konformitätschristen, wie ich es nenne – im Gegensatz zu mir nie aus der Kirche ausgetreten waren, aber weder Gottesdienste besuchten noch eine Bibel besaßen. Der Ungläubige ist der wahre Gläubige, denn Glauben heißt in sich suchen, heißt sich auseinanderzusetzen, heißt nicht besitzen. Denn Besitz ist etwas Passives, Totes. Ich spürte immer in mir, dass die Antwort auf die Lüge nicht das Nichts war, sondern die Wahrheit, zu der ich nur durchdringen müsste. Ich sah Mel Gibsons Film „The Passion of the Christ“ und er berührte mich auf eine Weise, die mich daran erinnerte, dass da ein nicht abgeschlossenes Kapitel in mir wartete.
Schließlich fand ich – vorerst – meinen inneren Frieden, indem ich die Bücher von Richard Dawkins las. „Der Gotteswahn“ kurierte mich für etliche Jahre von meinen leisen, inneren Zweifeln. Ich konnte mich von nun an als von Vernunft und Wissenschaft bestätigter Atheist betrachten. Und sind sie nicht lächerlich, all die märchenhaften Behauptungen sämtlicher Religionen, nimmt man einmal die weitaus klügeren asiatischen aus? Schöpfung der Erde in sechs Tagen, sich teilende Flüsse, vermehrende Brote und so fort? Bis heute glaubt man in der katholischen Kirche an Wunder. Also: Warum nicht weg mit all dem und daran glauben, dass wir alle nur „genetische Überlebensmaschinen“ sind, Erzeugnisse von Dawkins‘ Blindem Uhrmacher? Ohne einen tieferen diesseitigen Sinn und ohne Aussicht auf ein jenseitiges Heil?
Meine Suche nach der wahren Religion
Die Wege der Götter, auch die Euródins, sind verschlungen, ihr Tritt ist leise und ihr Atem so sanft, dass wir ihn meistens nicht bemerken. Kein Engel erschien mir samt Flammenschwert am Horizont auf einer Wolke schwebend, keine gewaltige Stimme donnerte in meinem Inneren. Stattdessen entwickelte ich nach und nach die Vorstellung, Schriftsteller werden zu wollen. Ich suchte lange nach einem geeigneten Thema, entschied mich schließlich für eine Horrorgeschichte – die las ich damals gern – die im guatemaltekischen Urwald mit dem Fund einer geheimnisvollen Götterstatue ihren Anfang nahm. (Die fiktive Fundstelle, Tikal, kannte ich von einer längeren Reise durch Mittelamerika.) Doch hier geschah zum ersten Mal etwas, das ich heute als sanftes Anklopfen meines wahren Gottes erkenne. Wie aus dem Nichts kam mir die Idee, auf der Statue – einem in Obsidian gehauenen Schädel eines Jaguars – neben mayanischen religiösen Symbolen auch einige germanische Runen zu platzieren. Ich erwarb sogar ein Buch über Runenkunde, obwohl ich nie zuvor Kontakt zur germanischen Religion gehabt oder mich für sie interessiert hätte, und sie zu jener Zeit auch noch nicht in Film und Fernsehen ein Thema war.
Was in aller Welt könnten germanische Runen auf einem religiösen Artefakt aus einer geheimen unterirdischen Kammer im Urwald Mittelamerikas verloren haben? Ich war darüber so ratlos wie meine Figuren, dennoch beließ ich dieses völlig inkongruente Element in der Geschichte. (Zwar haben die Wikinger nachweislich auch Amerika in ihren Drachenbooten erreicht, doch ist weder verbürgt, dass sie dabei bis nach Guatemala kamen, noch war mir dies damals überhaupt bekannt.)
Doch damit nicht genug: Nicht nur der Mayaglaube, auch das Christentum spielte in der Geschichte eine wichtige Rolle, in Gestalt des Glaubens mehrerer Figuren und eines christlichen Pfarrers, der versucht, den Helden vor der in Besitznahme durch den fremden, mayanischen Götter-Dämon zu bewahren – aber damit scheitert. Das Christentum ist tot, dies war die Botschaft, doch an ihrer Stelle konnte ich noch nicht das Neue erkennen, sondern nur eine spirituelle Leere, die zu Hoffnungslosigkeit, Verdammnis und Auslöschung führen muss. Es ist der Moment, in der die Larve ihren Kokon abwirft und nackt und ungeschützt ist, bis sie zum Schmetterling wird. Der alte König ist tot, der neue noch nicht gekrönt. Vielleicht noch nicht einmal geboren.
Eine wichtige Rolle in der Geschichte spielte auch die Conquista, die Eroberung, Versklavung und christliche Missionierung Mittel- und Südamerikas durch die Spanier. Denn sie veranlasste in der Geschichte eine mächtige, unsterbliche Mayapriesterin zu einem Rachefluch, der in Gestalt jener zum Leben erwachenden und den „Jaguargott“ Tezcatlipoca verkörpernden Statue den Westen heimsuchen und unterwerfen sollte.
Die Rache der Versklavten und Ausgebeuteten in spiritueller, ideeller, aber auch physischer, sexueller Form an den Sklavenhaltern, Ausbeutern und Erniedrigern. Das Jahr 2015 war, als ich dies schrieb, noch fern. Heute weiß ich: Es war meine erste religiöse Vision, die ich nur nicht als solche zu erkennen vermochte.
Die literarischen Meriten meines ersten Schreibversuchs mögen überschaubar gewesen sein. Jedoch: Alle meine späteren Romane hatten Religion als ein wichtiges, teilweise als ihr einziges Thema. Ich erfand sogar eigene Religionen, allerdings ohne auch nur einen Moment lang daran zu glauben, dass sie wahr sein könnten. Es waren Ausbrüche aus meinen Inneren, Ausdruck meiner Ruhe- und Ratlosigkeit. Seltsam für einen erklärten Atheisten, nicht wahr? Wir können unsere Umwelt täuschen, wir können unseren eigenen Verstand foppen. Aber wir können nicht unsere Seele belügen.
Als 2015 meine Welt zerbrach
Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem Angela Merkel die deutschen Grenzen öffnete, oder vielmehr den Tag, an dem sie sie für die anstürmenden Flüchtlinge aus dem Orient nicht schloss. Fassungslos und mit offenem Mund saß ich vor dem Bildschirm meines PCs. Und ich habe geweint.
Nie zuvor hatte ich mich als jemanden betrachtet, den das heutige linksliberale System als Rassisten bezeichnet. Nun aber, im Jahre 2025, sah ich, wie junge deutsche Frauen in einer Geste der freudigen Begrüßung, im Ergebnis aber freiwilligen Unterwerfung, männlichen, syrischen Kriegs-, in Wahrheit weit überwiegend Armutsflüchtlingen, Teddybären und Blumen auf die Bahnhofsgleise warfen. Manche von ihnen säuberten später den jungen, afrikanischen Männern die Toiletten in den Flüchtlingsheimen. Etwas wozu in früheren Zeiten die versklavten Frauen eines eroberten Stammes gezwungen wurden. Nun machte sich der ehemalige Sklavenhalter selbst zum Sklaven.
Ich sah, wie deutsche Studentinnen bei einer Anti-NPD-Demonstration „Gibt’s kein Recht auf Nazi-Propaganda“ skandierten, mit dem Ausmaß an Ignoranz, wie es nur der lebensunkundige junge Mensch zustande bringt, angefeuert von dickbäuchigen, selbstzufriedenen Gewerkschafts-, Grünen- und Kirchenfunktionären, die einander zuflüsterten, ohne „die“ (gemeint: das verlorene Häuflein der NPD) hätten sie die „Party“ hier ja gar nicht, und begleitet vom diebischen Grinsen kleiner, flinker „traumatisierter“ somalischer Drogendealer, die vom zur Flüchtlingsunterkunft umfunktionierten Hotel im Hintergrund zu ihren Geschäften aufbrachen.
Des Öfteren begegnete mir damals in der Stadt der gleiche afrikanische mutmaßliche Asylbewerber, der in höchst gemächlichem Tempo fröhlich pfeifend und besten Mutes durch die Straßen radelte, alle Zeit der Welt habend und offenkundig von keiner Sorge über seine Zukunft und sein Auskommen geplagt. Die Söhne weißer, Sklaven haltender afrikanischer Plantagenbesitzer müssen anderthalb Jahrhunderte zuvor mit genau derselben Nonchalance und Überlegenheit durch den Besitz ihres Vaters gestreift sein, im sicheren Wissen, dass sich jedes Vergehen gegen sie für den Täter übel auszahlen würde. Nur, dass die neuen Landnehmer sich ihr Territorium nicht durch List und Gewalt erobert haben, sondern es ihnen von den alten Besitzern kampflos zu Füßen gelegt wurde, ein Werk des afrikanischen Gottes Vili, der es verstanden hat, durch seine Scheinreligion des Christentums das Urvolk seines Bruders geistig zu umnachten und moralisch zu verderben.
Anders gesagt: Die späte Rache jener mayanischen Gottheit aus meinem ersten Romanversuch, mit diabolischem Grinsen serviert. Die Schwäche der einst Unterdrückten kehrt wie ein Virus heim zu den Unterdrückern, um sie selbst zu vernichten.
Ein Haus in Thüringen und die erste Idee zu „Wir Kinder Euródins“
Ich hatte viele Jahre gutes Geld als Controller und Finanzmanager verdient und angesichts der Entwicklungen in Deutschland beschlossen meine Frau und ich, uns ein Haus im ländlichen Thüringen zu bauen, dort, wo noch Deutschland und die Welt in Ordnung ist. In der Endphase des Baus ging es um die Pflasterung des Hofs und hier brachte sich jemand von dort oben wieder in listiger Weise ein. Denn wie aus dem Nichts fiel mir ein, den Hof doch mit einer riesigen Othala-Rune pflastern zu lassen, als allgemeinen Ausdruck der Verbundenheit mit meinem germanischen Erbe, dachte ich. Dass sie im Besonderen für den Gott Odin steht, war mir damals gar nicht bewusst gewesen. Am Ende ließ ich es sein, weil es rechtliche Bedenken im Bauunternehmer weckte, und auch, weil sich abzeichnete, dass wir das Haus nicht dauerhaft beziehen würden. Doch wieder war ein Keim in meine Seele gelegt worden, und diesmal einer, der bald aufgehen sollte.
In der Endphase meiner Thüringer Zeit entwickelte ich spontan eine Idee für ein neues Buch. Diesmal sollte es um eine verschworene Gemeinschaft von Europäern gehen, die auf einer Privatinsel in der Karibik ein sich „Nordier“ nennenden Volk gründeten, um von dort aus eines Tages Europa aus den Klauen der Linken und des Christentums zu befreien. Deren Anführer, der den Lesern von „Wir Kinder Euródins“ als Armin Weskamp bekannt ist, betrachtete sich selbst zwar als Atheisten, hielt es aber für förderlich und sogar notwendig, der Gruppe eine Religion zu geben – woraufhin mein himmlischer Stichwortgeber dafür wenig überraschend sich selbst und all seine Emanationen von Thor über Tyr bis Freya ins Spiel brachte.
Eine Religion, an die man nicht glaubt, nur weil man meint, sie zu brauchen? „Das wird so nicht gehen“ schrieb ich an den Rand der ersten Konzeptskizze. Es gibt kein richtiges Leben im Falschen, es gibt keine Wahrheit in der Lüge, und sei diese noch so gut gemeint.
Eine Reise an die Ostsee und der Fund des Steines
Dies war der Zeitpunkt, an dem ich mich zum ersten Mal systematisch mit der germanischen Religion – beziehungsweise Religion an sich – beschäftigte. Nach dem Verkauf des Hauses kehrten wir wieder nach Westdeutschland zurück, und dort entwickelte ich bald den Plan, eine Reise nach Skandinavien zu unternehmen. Wieder zog „etwas“ mich dort hin, wie es mich schon zu meinen ostdeutschen Schwestern und Brüdern hingezogen hatte. War die Ostsee – die ich seltsamerweise noch nie zuvor besucht hatte, dafür in allen entfernten Winkeln der Erde unterwegs gewesen war – nicht Sein Meer? Dort wartete etwas auf mich, dessen war ich mir sicher. Schon auf der Fahrt dorthin war es mir, als säße er hinter uns und freute sich darauf, dass wir sein liebstes Revier aufsuchten, umgeben von jenen Menschen, deren Vorfahren sich als Letzte von ihm abgewandt und dem fremden Gott Vili ergeben hatten.
Es passierte an einem Strand. Dort suchte ich mir einen Stein zum Sitzen aus, wischte den Sand auf der Oberfläche weg, um meine Hose nicht schmutzig zu machen – und entdeckte flach ins Gestein gemeißelte, merkwürdige Gravuren darauf. Dass es Runen waren und die Zeichnung in der Mitte eine Triskele darstellte, wusste ich nun schon, nicht jedoch, was all dies in Summe zu bedeuten hätte. Nur über eines war ich mir sicher: Es konnte kein Zufall sein, dass ich hier war und den Stein gefunden hatte. Er war für mich bestimmt und musste eine wichtige Botschaft beinhalten.
Doch wieder war der Weg zur Erkenntnis mühsam und verschlungen: Keine Stimme ertönte donnernd aus dem Dünengras, keine Walküre glitt mir auf einer Wolke über der Ostsee entgegen. Alles blieb stumm und wie immer und mein Leben ging seinen normalen Gang.
Mit dem Stein im Kofferraum ging es heimwärts, und dort arbeitete ich weiter am Konzept des Romans, der eine völlig andere Gestalt als zu Beginn anzunehmen begann. Zugleich bildete ich mich geschichtlich und religionswissenschaftlich weiter, auf der Suche nach der Botschaft des Steins, dem Schlüssel zu all meinen Fragen.
Die Offenbarung der Botschaft
Es geschah ohne Fanfarenstöße und strahlende Lichterkränze, sondern schlicht, stumm und nüchtern. Eine Eingebung ließ mich nochmals etwas in der Edda nachschlagen, die ich schon mehrfach gelesen hatte, stets aber in dem Gefühl, das Entscheidende übersehen zu haben. Wie zuvor blätterte ich zu der Stelle der Gylfaginning, an der Odins Brüder Vili und Vé erwähnt wurden. Diesmal jedoch enthüllte sich mir die wahre Bedeutung, die der Botschaft des Steins entsprach.
Wenn es statt eines Gottes drei gab, die jeder für ein wesensverschiedenes Urvolk verantwortlich waren? Wenn die Unterschiedlichkeit der Asiaten, Europäer und Afrikaner nicht nur durch ihr genetischen Erbe, sondern auch durch die Verschiedenheit der sie prägenden Götter bestimmt wäre?
Die Runen und die Triskele ergaben auf einmal einen Sinn, als Zeichen für die drei Götter und ihre drei Urvölker. Ich setzte mich an den PC und begann fieberhaft zu schreiben, was meine Seele wie ein aufgestauter See in mein Bewusstsein stürzen ließ: Die Geschichte der Menschen und der Götter, die Urweihe, dann die laufende Seelenweihe und ihre Regeln, die drei Paradiese und was unser Gott von uns verlangt. Und damit der Kern dessen, was ich das Bekenntnis nenne.
Damit hatte ich nach vielen Jahrzehnten zu meinem Gott gefunden, als dessen Prophet ich mich bezeichne.